Interview Stabübergabe

«Unter neuer Führung werden wir die Transformation und den Neustart in 2021 vorantreiben»

Herr Alder, Sie haben den Stab an Herrn Christen weitergegeben. Was sehen Sie in der Retrospektive als die wichtigsten Stabilisierungs­massnahmen in 2020?

Es waren eigentlich drei Bereiche, neben der offensichtlichen Umbenen­nung in Swiss Steel Group, auf die wir uns verstärkt konzentriert haben. Erstes Kernelement war das Restrukturierungs­­konzept. In diesem Schritt wurde umfassend analysiert, ob das be­stehende Geschäftsmodell rentabel transformiert werden kann und sich die Endkunden­märkte in abseh­­­barer Zeit erholen. Diese Prüfung fiel

erwartungsgemäss positiv aus, die Transformation sichert die erfolgreiche Zukunft des Unternehmens. Zweites Kernelement war das Finanzierungskonzept, um die Bilanz wieder herund die finanzielle Basis für die Transformation sicherzustellen. Die Stärkung der Finanzierung mittels der im Dezember 2020 beschlossenen und voraussichtlich im März 2021 abzuschliessenden Eigenkapitalerhöhung einhergehend mit einer bedeutenden Erleichterung der zukünftigen Kreditkonditionen war eine wichtige Botschaft an die Mitarbeitenden, Kunden und Lieferanten: Swiss Steel Group ist langfristig ein zuverlässiger Partner. Drittes Element ist die Neuaufstellung des Top Management. Das Team bestehend aus Clemens Iller und Matthias Wellhausen macht nach erfolgter Stabilisierung und Refinanzierung den Weg frei für das neue Team mit den Herren Frank Koch und Markus Böning. Schlussendlich hat sich auch der Verwaltungsrat einstimmig dazu entschlossen, mittels einer wesentlichen Reduktion der Honorare zum eingeschlagenen Kurs beizutragen.

Wie sehen Sie die Management-Leistung in 2020?

Das Team unter der Leitung von Clemens Iller hat im äusserst anspruchsvollen Jahr 2020 einen sehr guten Job gemacht. Neben der Führung des operativen Geschäfts haben sie unter grossem Druck zwei komplexe Finanzierungsrunden erfolgreich durchgeführt, respektive werden sie in Kürze vollziehen, ein breites Effizienz­­steige­rungs­programm aufgesetzt und bislang über Plan umgesetzt und nicht zuletzt während der ganzen Krisenzeit grosse Loyalität gegenüber dem Unternehmen und den Aktionären bewiesen. Clemens Iller hat sich entschieden, Platz für neue Führungskräfte zu machen und sich zurückzuziehen. Ihm und seinem Team gebührt grosser Dank.

Ist das neue Team das richtige für die Gestaltung einer erfolgreichen Zukunft des Unternehmens?

Frank Koch bringt alles mit, um Swiss Steel Group als CEO auch in Zeiten von weiterhin grossen Herausforderungen zum Erfolg zu führen. Mit seiner beein­druckenden Karriere von der Grundausbildung bis zum CEO eines komplexen Industriekonzerns und Stationen bei mehreren führenden Stahlunternehmen verfügt Frank Koch über herausragende strategische und operative Kompetenzen und Erfahrungen. Er hat umfassende Turnaround- und Restrukturierungsprogramme erfolgreich umgesetzt und jeweils deutliche Verbesserungen der operativen und finanziellen Leistung der von ihm geführten Unternehmen erreicht. Markus Böning ist bereits seit Oktober 2020 an Bord. Er verfügt über mehr als 15 Jahre internationale Erfahrung als CFO in mehreren Industrieunternehmen der Automobilzulieferindustrie, der Stahlindustrie und der pharmazeutischen Industrie.

«Swiss Steel Group hat das Fundament für den Erfolg geschaffen: Gestärkte Finanzierung, starkes Management-Team und nachhaltige Produktionsprozesse für die internationale Nachfrage nach Lösungen aus Speziallangstahl.»

Final, wie sehen Sie die Zusammensetzung des Aktionariats und die Auswirkungen auf den Verwaltungsrat?

Ich denke, in dieser nach wie vor sehr herausfordernden Situation, in welcher wir uns befinden, sind grundsätzlich eine klare strategische Ausrichtung und ein schneller Entscheidungsprozess im Verwaltungsrat elementar. Insofern haben wir bei der Zusammenstellung darauf geachtet, dass dieser im Sinne der Unabhängigkeit ausgewogen und mit der nötigen Expertise ausgestattet ist, um bei Richtungsent- scheidungen sämtliche Aspekte zu reflektieren. Unabhängig davon sind wir im speziellen der Big Point Holding AG für die Unterstützung dankbar. Sie stand uns bereits zum Halbjahr 2020, als die Dinge wieder enger wurden, entsprechend mit einem Aktionärsdarlehen zur Seite und hat uns bei der bereits im Januar 2020 abgeschlossenen und der im März 2021zum Abschluss erwarteten Kapitalerhöhung tatkräftig unterstützt. Es ist mir jedoch auch ein Anliegen, sämtlichen Aktionären und speziell den Kleinaktionären ausdrücklich für den Support zu danken.

Nun zu Ihnen Herr Christen, mit dem Namenswechsel und der Stabsübergabe gekoppelt mit dem neuen Top Management wird ein Neuanfang deutlich. Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht diese Signalwirkung?

Ich möchte mich zuerst einmal bei Jens Alder dafür bedanken, dass er uns sehr souverän und umsichtig durch diese schwierige Phase geführt hat. Daneben ist es mir auch wichtig zu betonen, dass ich als Vertreter von Big Point Holding AG, wie von Herrn Alder angesprochen, im Verwaltungsrat und auch in meiner Rolle als Präsident sämtliche Interessen abwägen und wahrnehmen werde.

Deshalb hat es mich auch gefreut, dass mich der Verwaltungsrat einstimmig und ohne Enthaltungen zum Nachfolger von Jens Alder gewählt hat. Der Verwaltungsrat als Ganzes hat klare Vorstellungen, wohin er unsere Firma in den nächsten Jahren führen will. Diese decken sich mit den Vorstellungen von Herrn Haefner und mir, weshalb die Strategiearbeit in diesem Gremium sehr erfreulich ist. Allerdings brauchen wir dafür auch Zeit – wir sind erst etwa am «Ende des Anfangs», um Churchill zu zitieren. Um auf Ihre Frage zurückzukommen, ja, wir haben einen Neuanfang als sehr wichtig erachtet. Einerseits war der Namenswechsel mit dem Ausstieg der alten Eigentümerfamilie Anfang 2020 angebracht, ja notwendig. Daneben wollten wir aber auch die zentrale Rolle der Schweiz mit einem starken Schweizer Aktionär sowie die Qualität und hohe Kundenorientierung, die Schweizer Konzerne weltweit auszeichnen, herausstellen. Die Swissness war entsprechend ein wesentlicher Aspekt, welchen wir im neuen Namen und im Logo verankert sehen wollten. Auch wichtig zu betonen ist an dieser Stelle natürlich die globale Ausrichtung – auch dies typische Swissness! Mit unserer zentralen Stellung in Europa, in Nachbarschaft zu unseren drei wichtigsten geographischen Märkten in Deutschland, Frankreich und Italien, dem starken Standbein in Nordamerika sowie unserem weltweiten Vertriebsnetz sehen wir uns in einer guten Position, durchzustarten.

Ein neuer Name ist sicherlich sehr wichtig zwecks Signalwirkung. Wie sehen Sie das Geschäftsmodell als Ganzes?

Was uns im Speziellen als eine der Kernkompetenzen überzeugt, ist das vertiefte Wissen im metallurgischen und technischen Bereich, welches unsere Experten und Ingenieure in sich vereinen, dies wird immer wieder von externen Beobachtern und Marktkennern bestätigt. Wir sind zutiefst überzeugt, dass wir herausragende Produkte herstellen und glauben auch langfristig an den Werkstoff Stahl. Nicht weniger wichtig ist die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells, indem wir in unseren Elektrolichtbogenöfen ausschliesslich Schrott schmelzen, mit Legierungselementen abhängig vom Anwendungsbereich veredeln und dabei eine perfekte Kreislauf­wirtschaft abbilden. Mit unseren Elektrolichtbogenöfen haben wir grundsätzlich einen sehr CO2-effizienten Produktionsprozess, wobei wir je nach verwendeter Stromquelle noch nachhaltiger sein können. Ziel wird es im kommenden Jahr sein, diese Nachhaltigkeit auch gegenüber unseren Kunden und Lieferanten noch stärker zu betonen.

Letzte Frage: Wie wird der Übergangsprozess von Clemens Iller auf Frank Koch gestaltet werden und wann wird es erste Aussagen zur neuen Strategieausrichtung geben?

Ziel wäre, dass wir bis spätestens per 1. Januar 2022 den Wechsel vollzogen haben. An dieser Stelle danke ich Clemens Iller ausdrücklich für seine Loyalität, auch im frühen Wissen des angepeilten Ablösungsprozesses voll mitgezogen und uns in diese hervorragende Ausgangslage gebracht zu haben. Bezüglich der Ausrichtung wird Herr Koch die nötige Zeit erhalten, sich entsprechend ein Bild zu machen und danach in enger Abstimmung mit dem Verwaltungsrat die Strategie zu erarbeiten und allfällige strukturelle Massnahmen vorzunehmen.

Frank Koch

CEO

Frank Koch, MBA, wurde im Dezember 2020 durch den Verwaltungsrat zum zukünftigen CEO der Swiss Steel Group gewählt und wird sein Amt spätestens per 1. Januar 2022 antreten. Er begann seine berufliche Laufbahn 1991 mit einer Ausbildung zum Industriekaufmann in der Stahlsparte von ThyssenKrupp. Nach einem Traineeprogramm im ThyssenKrupp Konzern mit diversen Auslandsaufenthalten und einer General Management Ausbildung in St. Gallen folgten Managementfunktionen im ThyssenKrupp Konzern unter anderem

bei den heute zur Swiss Steel Group gehörenden Deutsche Edelstahlwerke. 2003 bis 2005 zeichnete er für Strategie und Vertrieb bei der zum italienischen Anlagen­bauer gehörenden Acciaierie Bertoli Safau verantwortlich. Ende 2005 stiess er erneut zu Deutsche Edelstahlwerke und verantwortete dort bis 2007 den Bereich Vertrieb und Strategie. Ab 2008 übernahm er die Position CSO/Logistics beim Stahlwerk Georgsmarienhütte GmbH und ab 2015 als COO der GMH Gruppe erste Verantwortung in der dortigen Holdingorganisation. Seit 1. Januar 2017 bis Jahresende 2020 führte er die GMH Gruppe als CEO.